10 Jahre Museumsverbände in den neuen Bundesländern


Grußwort des Deutschen Museumsbundes
zum Festakt in Gera
anläßlich des 10-jährigen Bestehens des Thüringischen Museumsbundes

von Thomas Schuler



Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Rauch,

Sehr geehrte Frau Prof. Schipanski,

Sehr geehrter Herr Prof. Manger,

Lieber Herr Jakobson,

Liebe Museumsfreunde!

 

 

Oft werden wir in diesen Tagen an die Zeit vor 10 Jahren erinnert: Zuerst kam damals die Euphorie, dann der Neubeginn und dann die Ernüchterung über die Gräben zwischen Ost und West. Doch bei uns Museen verlief es weniger dramatisch, ja, wir können mit Freude und ein wenig Stolz heute sagen, dass es nicht viele andere Berufsgruppen in Deutschland gibt, denen beim Zusammenwachsen so wenig Stolpersteine im Weg lagen.

 

Dies verdanken wir ganz wesentlich der starken und geachteten Situation der Museen in der DDR. Ich erinnere an die gute Ausbildung - ein Museologie-Studium gab z.B. es nur in Leipzig - , an die hohen fachlichen Standards, an die guten Personalausstattung, an die motivierten Kollektive u.a.m.

Auch der Primat der Ideologie hielt sich in Grenzen; nicht wenige Kollegen hatten es geschafft, sich ihr Arbeitsfeld als Nische zu gestalten, an der die wechselnden ideologischen Brisen und Böen weitgehend vorbeibliesen.

 

In unserem Deutschen Museumsbund gab es daher nach 1990 keine nennenswerten Ost-West-Probleme. In den Vorstand wurden Herr Jakobson, Frau Prof. Flügel von der Fachhochschule Leipzig und Herr Karge aus Rostock gewählt, später Martin Roth (Hygienemuseum Dresden) und ich (Schloßbergmuseum Chemnitz); im 10-köpfigen Vorstand waren also stets 2 oder 3 Vertreter aus Ostdeutschland.

Und die Kollegen aus dem Westen waren neugierig: Unsere Jahrestagungen hielten wir in Dresden, Erfurt und Cottbus ab, wir waren also alle 3 Jahre im Osten. Die stadt-und heimatgeschichtlichen Museen praktizieren sogar einen festen zweijährigen Turnus: nach Plauen, Chemnitz, Schwerin und Halle wäre 2003 dann eine thüringische Stadt an der Reihe - Interessenten bitte melden!

Auch auf der personellen Ebene ging es in unserer Zunft moderat zu. Nehmen wir als Beispiel die Führungspositionen im Bundesland Sachsen: 50% der Direktorenposten in den staatlichen Museen und Großstadtmuseen sind mit Bewerbern aus dem Westen besetzt worden. Insgesamt sind das weniger als 5% der Leitungspositionen - also ein ganz anderes Bild die semi-kolonialen Verhältnissen etwa bei Banken und Gerichten oder die Seilschaftsorgien in manchen Universitäten.

 

Doch wenn wir uns die Situation vor 10 Jahren vor Augen führen, dann müssen auch einige Probleme benannt werden. 3 wichtige Defizite hat die DDR uns Museen hinterlassen:

- die immer weniger gepflegte Bausubstanz,

- das Fehlen einer Selbstorganisation der Museumsleute,

- der Mangel an Einrichtungen zur Museumsberatung; lediglich der Bezirk Karl-Marx-Stadt verfügte über eine gut ausgestattete und westlichen Bundesländern vergleichbare Institution.

 

Zu diesen Defiziten kamen neue Herausforderungen, welche die Strukturen der BRD mit sich brachten:

-           die neuen Möglichkeiten, aber leider auch Notwendigkeiten bei der Sicherheitstechnik,

-           der ganz andere Stil, sich bei der Politik Gehör zu verschaffen,

-           der hohe Aufwand, den Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation erfordern, um “am Markt” bestehen zu können,

-           die wieder zu belebende Identität der neuen Bundesländer.

 

Sicher haben Sie schon bemerkt, dass ich mit diesen sieben Punkten die argumentative Kurve für unser heutiges Jubiläum gekriegt habe. Bei Bau- und Sicherheitsfragen mögen lokale Lösungen ausreichen, alle anderen Punkte mussten von den Museen gemeinsam angegangen werden - sei es auf der nationalen oder der regionalen Ebene.

 

 


Was ist nun, 10 Jahre später, in den neuen Bundesländern erreicht?

 

1)         Verbände sind längst überall gegründet, der Thüringer zählt zu den frühen und starken - und es ist mir eine Ehre, Ihnen heute die Glückwünsche des Deutschen Museumsbundes und seines Präsidenten überbringen zu dürfen.

 

2)         Bei den Beratungsstellen hat nur ein östliches Bundesland auf die im Westen verbreitetste Form, die staatliche Stelle, zurückgegriffen - nämlich Sachsen, das die Karl-Marx-Städter Einrichtung in eine Landesstelle umgewandelt hat. Thüringen und die übrigen haben den anderen, unbürokratischen Weg beschritten: die enge Zusammenarbeit von Ministerium und Museumsverband. Dieses Modell hat viele Vorzüge, aber es erfordert hohes Engagement der ehrenamtlichen Arbeit, starke Verantwortung gegenüber den Museumkollegen und eine gute Vertrauensbasis zwischen Ministerium und Museumsverband. Als Außenstehender (jedoch nicht ganz Fernstehender) habe ich den Eindruck, dass hier in Thüringen die Aufgaben sehr gut gelöst werden.

 

3)         Was die Lobby-Arbeit in der Politik betrifft, so ist zwar einiges in den letzten 10 Jahren erreicht worden, aber wir sind noch weit von einem Stand entfernt, mit dem wir zufrieden sein dürfen - in Ost wie in West gleichermaßen.

 

4)         Bei der Öffentlichkeitsarbeit gibt es schon einiges vorzuweisen, z. B. die schönen Museumsführer in Buchform oder wie hier in Thüringen, als attraktive Faltprospekte. Einige Museumsverbände, auch der hiesige, haben informative Datenbanken zu ihrer Museumslandschaft ins Internet gestellt - aber da sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Unser jüngster - und noch wirklich entwicklungsbedürftiger gemeinsamer PR-Versuch ist der Internationale Museumstag: Hier lag Thüringen in diesem Jahr mit 67 beteiligten und auch im Internet präsenten Museen klar in der Spitzengruppe, zusammen mit Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Andersherum: Obwohl in Thüringen nur 3,5% der deutschen Museen beheimatet sind, hat es am Internationalen Museumstag 8% des Angebots geliefert. Einen herzlichen Dank für dieses vorbildliche Engagement!

 

5)         Bei der Umorientierung weg von den DDR-Bezirken und hin zur neuen und alten Identität der Bundesländer - ein wichtiges Thema auch in Thüringen - haben die Museen und ihre Verbände in den letzten 10 Jahren Unschätzbares geleistet. Ja, es gibt wenige Einrichtungen in unserer Gesellschaft, die bei der Suche nach unterbrochener oder in Frage gestellter historischer Identität so gute und ehrliche Hilfen anbieten können, wie wir Museen.

 

Als vor 10 Jahren die Verbände gegründet wurden, gab es nicht nur begeisterte Stimmen: “Die Deutschen können halt ohne Vereine nicht leben - auch 40 Jahre Sozialismus haben diese Krankheit nicht ausrotten können” - so höhnten die einen, und die anderen waren erbost, dass auch bei den Museen bloß wieder die bestehenden BRD-Strukturen dem Osten übergestülpt worden seien.

 

Dagegen möchte ich die harte These stellen: Wenn es Museumsverbände vorher noch nicht gegeben hätte - wir hätten sie erfinden müssen, um die erheblichen Umstrukturierungen und Neuorientierung des letzten Jahrzehnts gut zu bewältigen.

 

Mit einem solchen Selbstlob dieses Grußwort zu schließen ist schon verlockend, doch wir sind es uns an einem Tag des Erinnerns schuldig, auch einen kritischen Rückblick zu wagen.

 

Der Museumsverband Mecklenburg-Vorpommern hat bei seinen Mitgliedern eine Umfrage veranstaltet, um herauszufinden, wie die DDR-Zeit in den Dauerausstellungen der Museen dargestellt wird. Die Ergebnisse waren ebenso ernüchternd bis blamabel wie die große Recherche der Sächsischen Zeitung zum selben Thema.

Im Klartext: Man kann die Stadtmuseen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen an einer Hand abzählen, die das Thema DDR in der Dauerausstellung nach den in ihren Häusern ansonsten üblichen museologischen Standards bearbeitet haben.

 

Ich wünsche Ihnen, dass das Bild in Thüringen besser sein möge, aber ich fürchte, dass es auch hier viele Museumskollegen gibt, die defensiv argumentieren: “Die Zeit ist noch nicht reif” hört man oft, oder “Wir brauchen noch mehr Abstand”.

Diesen zögernden Kollegen möchte ich 10 Jahre nach unserem Neubeginn zweierlei ans Herz legen:

- Erstens: Ein Jubiläum schenkt nicht nur die Freuden des Rückblicks, es schafft auch Distanz durch bewußtes Erinnern.

- Zweitens: Das letzte Jahrzehnt hat zwar objektiv genau zehn Jahre gedauert, subjektiv jedoch liegt  1990 für viele schon 15 bis 20 Jahre zurück - so hoch war das Tempo und die Radikalität der Veränderungen.

Das heutige Jubiläum bietet also einen gute Basis, sich künftig ernsthaft an das Thema DDR heranzuwagen.

 

Nehmen wir einmal die alten Bundesländer als abschreckendes Beispiel: Viele Museen haben dort erst in den späten sechziger Jahren begonnen, sich mit Drittem Reich und 2. Weltkrieg auseinanderzusetzen. Lassen Sie uns derartige Fehler bei vermeiden und unsere Dauerausstellungen beherzt bis an die Gegenwart heranführen - wie wir es unserem Publikum schuldig sind, aber auch uns selbst als Wissenschaftlern und als wichtigen Trägern historischer Bildung.

Dies ist mein Wunsch zum 10 Geburtstag - und für Ihr und unser nächstes Jahrzehnt.